Material

Wenn du Zeug_in häuslicher Gewalt wirst

Ob wir wollen oder nicht, die Gesellschaft um uns herum teilt uns in zwei Geschlechter auf: in Frauen und Männer. Zwar werden allen Menschen so zum Teil widersprüchliche Eigenschaften und Identitäten aufgezwungen, aber der Trennung folgt vor allem eine Hierarchie: Frauen werden untergeordnet, unterworfen, ausgebeutet – mit Gewalt. Gewalt gegen Frauen ist dabei nicht das Gegenstück zur freiheitlich–demokratischen »gewaltfreien« Gesellschaft, sondern ihre Grundlage. Die Corona–Pandemie und mit ihr die häusliche Isolation wird diesen Zustand verschärfen. Achtet aufeinander, seid solidarisch, mischt euch ein – Gegen Sexismus, Femizide (Frauenmorde) und sexuelle Gewalt!

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Produktionsstopp – Geteilte Verantwortung – Solidarität

Suspending production – shared responsibility – solidarity

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Plakat / Poster / afiş / plakat / ملصق

V.I.S.d.P

Plakat Deutsch

Poster english

Türk afişi

ملصق عربي

Plakat srpsko-hrvatski

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Aufruf an die Studierenden

An alle Studierenden

Seit mehreren Monaten kursiert das Coronavirus, das sich mittlerweile zu einer internationalen Pandemie entwickelt und bisher über 5000 Menschen das Leben gekostet hat. Die leichte Übertragbarkeit durch Tröpfcheninfektion, die lange Inkubationszeit und der oft asymptomatische Verlauf bei jüngeren Menschen befördern eine rasche und oft unbemerkte Verbreitung.

Die Universitäten haben aufgrund der sich anbahnenden Gesundheitskrise zwar den Beginn des Lehrbetriebs im Sommersemester zeitlich verschoben, aber die Prüfungen nicht ausgesetzt. Damit werden nicht nur wir einem unnötigen Risiko der Infektion ausgesetzt.

Wir fragen:

Ist es die Bude wert?

Spätestens mit den Bologna-Reformen ist auch die Universität einem Prozess neoliberaler Ökonomisierung unterworfen. Wir Studierenden sind zu modularisierten Lern- und Schreibmaschinen degradiert, die sich im Erheischen von Creditpoints für den Arbeitsmarkt disziplinieren, statt im Studium einen Ort des kritischen Denkens und Forschens in emanzipatorischer Absicht zu finden. Währenddessen müssen unsere DozentInnen im Mittelbau die gesamte Lehre stemmen, die sie unter ihren prekären Beschäftigungsverhältnissen gar nicht stemmen können. Zusammen erschlaffen wir uns am Klausurenmarathon und der bulimischen Pflichtlektüre in den Seminaren. Unsere Lehrenden sind zu ProjektmeisterInnen und DrittmitteljägerInnen degradiert, während sich die ProfessorInnen im Konferenzhopping ermüden. Die Politik der Drittmittel bestimmt die Forschungsbereiche unserer Universitäten mittlerweile umfänglich und die Gesundheitskrise, die sich mit der Ausbreitung des Corona-virus offenbart, ist auch ein Ausdruck dieser Politik: Statt die Forschung für einen universellen Impfstoff gegen Influenza gefördert, oder uns zur Kritikfähigkeit gegen das verrationalisierte Gesundheitssystem verholfen zu haben, sind wir nun ExpertInnen für rentable Blockbustermedikamente und allerlei Diskursgeplapper im Elfenbeinturm geworden. Der Entschluss der Universitäten, die Prüfungen trotz der Gefährdung für alle Beteiligten durchzuführen, entspricht dabei ihrer inneren Hierarchie. Dem Infektionsrisiko sind wir Studierenden ausgesetzt, die sich blödmachen im Sammeln von Creditpoints; der überarbeitete Mittelbau ist betroffen, der die Prüfungsaufsicht und Klausurenkontrolle leisten soll, während unterbezahlte Hausmeister und ReinigungsarbeiterInnen die Prüfungsräume zugänglich und sauber halten müssen.

Wir sagen:

Prüfungen werden nicht stattfinden!

Wir fordern alle Studierenden auf, sich zu den Prüfungen kollektiv krankschreiben zu lassen und diese universitäre Politik zu skandalisieren. Wir wollen uns damit solidarisieren: mit den unterbezahlten ReinigungsarbeiterInnen und Hauspersonal; mit dem universitären Mittelbau; mit allen PendlerInnen unter uns, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Prüfung fahren müssen; mit den Eltern unter uns, die ohne Kinderbetreuung für Prüfungen lernen sollen. Wir solidarisieren uns mit unserem eigenen Umfeld, das einem enormen Risiko der Infektion und damit der weiteren Verbreitung von COVID-19 ausgesetzt wird, nehmen wir an den Prüfungen teil. Wir solidarisieren uns mit den streikenden ArbeiterInnen in Italien und weltweit, die derzeit lebensnotwendige Strukturen unter Gefährdung ihres Lebens aufrechterhalten und von staatlicher Repression betroffen sind. Wir solidarisieren uns schließlich mit den MitarbeiterInnen der Krankenhäuser, die durch die jahrelange Rationalisierungspolitik im Gesundheitswesen schon im Normalbetrieb an der Überlastungsgrenze arbeiten.

Wir fordern:

Solidarität statt Universität!

Statt das Infektions- und Verbreitungsrisiko des Coronavirus durch solchen Prüfungsirrsinn noch weiter zu erhöhen, sollten wir die Unterbrechung des Arbeits- und Unialltags besser nutzen: Wir sollten einmal Muse walten lassen und uns den Beschäftigungen widmen, die der Selbst- und Arbeitsoptimierung permanent zum Opfer fallen. Wir sollten einkaufen gehen für unsere NachbarInnen, die von der Corona-Pandemie besonders gefährdet sind und das Haus nicht mehr verlassen können; wir sollten uns und anderen Solidarstrukturen gegen die soziale Isolation der freiwilligen Heimquarantäne schaffen; wir sollten Frauen, die unter den Quarantänebedingungen von häuslicher Gewalt bedroht sind, Schutzmöglichkeiten in Frauenhäusern vermitteln; wir sollten Kinderbetreuung für jene Familien organisieren, die arbeiten gehen müssen; wir sollten jene zur Arbeitsverweigerung ermutigen, die von ihren Chefs Risiken durch Arbeitsfortsetzung ausgesetzt werden; wir sollten finanzielle Unterstützungsstrukturen schaffen für Betroffene von Kurzarbeit, gehaltslosem Arbeitsausfall, für Selbstständige und Kulturschaffende, deren Betriebe lahmliegen; wir sollten eine finanzielle Mindestsicherung für alle und die sichere Unterbringung von obdachlosen Menschen und Geflüchteten fordern; wir sollten beginnen, uns gegen die seit Jahren andauernden Einsparungen im Gesundheitssystem politisch zu organisieren.